Artikel in der Siegener Zeitung

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18. April 2020, 10:46 Uhr 

tile Burbach/Oberdresselndorf.  Mittwochnachmittag, 15 Uhr: In einem Garten in Oberdresselndorf taucht ein Ehepaar mit Einkaufsbeutel auf. Melanie und Marcelo Reimer begrüßen die beiden. Man kennt sich, wechselt ein paar persönliche Worte. Dann widmen sich die Gäste dem Dutzend schwarzer Klappkisten, die nebeneinander aufgestellt stehen. Samstags sind es ein Vielfaches mehr. Obst, Gemüse, frisches wie abgepacktes Brot, Amaranth, ein Tortenboden, Bagels, Kartoffeln – die Besucher gehen die Reihe entlang, nehmen sich einige Waren, dann geht es weiter in den Keller. Dort stehen Kartons voller Biomilch, eimerweise Schmand, Schlagsahne, Kartoffelsalat und und und. Nach einer Viertelstunde ist die „Shoppingtour“, die hier nichts kostet, vorbei. Die nächste „Kundin“ kommt mit Einkaufskorb um die Ecke.

Vor rund eineinhalb Jahren haben sich Melanie und Marcelo Reimer mit Sven Stettner zu den „Essensrettern 3Ländereck“ zusammengeschlossen. Kurz darauf sind auch Manuela Berger und Natalja Schwarz dazugestoßen.

Lebensmittelvernichtung unbedingt vermeiden

Die Idee: Lebensmittelverschwendung und -vernichtung vermeiden – und Gemeinschaft pflegen. Von anderen Organisationen, wie etwa dem Verein Foodsharing, unterscheide sie vor allem ihre Antriebsfeder, sagen die Ehrenamtlichen aus dem Hickengrund, Würgendorf und Burbach: ihr christlicher Glaube. Zu den Ausgaben wird nicht nur Essen verteilt, man hält Andachten, tauscht sich aus (nicht nur Rezepte), die Kinder spielen gemeinsam – jedenfalls in Nicht-Corona-Zeiten.

Aktuell laufen natürlich auch bei den Essensrettern die Uhren etwas anders. Die Ausgaben sind auf zwei Stellen parallel aufgeteilt, die Besuche in 15-Minuten-Blöcke terminiert, in denen einzeln aus dem „Sortiment“ ausgewählt werden kann. Ihren „Event-Charakter“ haben die Termine für den Augenblick eingebüßt.

Eine Bedürftigkeit muss hier niemand vorweisen, jeder ist willkommen. In der momentanen Krisenzeit nutzten aber vermehrt Tafelkunden das Angebot, erklären Stettner und die Reimers. Wobei man weder den Tafeln noch den Foodsharern Konkurrenz machen wolle, betont das Trio. Vielmehr versteht man sich als Ergänzung zu den genannten Einrichtungen, mit denen man teilweise konstruktiv zusammenarbeite.

Zumal ein weiterer Unterschied zu den Tafeln besteht: Während diese an die Mindesthaltbarkeit gebunden sind, sammeln und verteilen die Essensretter auch abgelaufene Waren. Jeder, der Lebensmittel aus ihren Kisten bezieht, prüft und bewertet deren Genießbarkeit auf eigenes Risiko. Hierzu wird mit Haftungsausschlüssen gearbeitet. Die Ehrenamtler sprechen ihrerseits in gleicher schriftlicher Form die Spender (Supermärkte, Erzeuger etc.) von jeglicher Haftung frei.

19 Fahrer sind unterwegs

Täglich fahren die Essensretter auf Sammeltour durch das Dreiländereck – nicht nur innerhalb Burbachs, sondern auch in den umliegenden Gemeinden, bis hin nach Betzdorf, Dillenburg, Herborn und in den Westerwald. 19 Fahrer sind mittlerweile unterwegs, 90 Prozent von ihnen sind Frauen. Bis zu 100 große Einkaufskisten kommen so wöchentlich zusammen, zweimal in der Woche wird ausgegeben. 250 bis 280 Menschen werden so laut Orga-Team regelmäßig versorgt.

Vor allem kinderreiche Familien gehören zu den Abnehmern. Die Mengen reichten fast immer aus, dass jeder zufrieden nach Hause gehe, freuen sich die Ehrenamtler. Zahlen muss niemand, es wird lediglich um einen kleinen Obolus für die Benzin-Kasse gebeten.

Der Erfolg dieser jungen privaten Initiative, die nach eigenen Angaben inzwischen als tafelähnliche Organisation beim Kreis Siegen-Wittgenstein bekannt sei, freut die Essensretter natürlich, stellt sie aber auch vor Herausforderungen. Lagerung und Ausgabe werden zunehmend komplizierter. Vor allem die Kühlung bereitet Kopfzerbrechen. Die privaten und gespendeten Kühlschränke und Tiefkühltruhen werden auf Perspektive nicht ausreichen.

Versuche, ohne Einnahmen bezahlbare Räumlichkeiten im Burbacher Gemeindegebiet zu finden und anzumieten, scheiterten bisher. Kontakt zu den Essensrettern können potenzielle Unterstützer, Helfer sowie interessierte Lebensmittel-Abnehmer auf Facebook über die Seite „Essensretter 3Ländereck“ aufnehmen.